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Vor 500 Jahren wurde ein Mann geboren, der wie kein anderer die Geschichte der Gegenreformation geprägt hat. Der Jesuit mit der Mitgliedsnummer 8 hat die Societas Jesu zu einem ‘Schulorden’ gemacht, dessen ‘Kollegien’ Generationen von Schülern geprägt haben. Zudem ist er Autor des religiösen All-Time-Bestsellers namens Katechismus. Dass er ein vorbehaltloser Unterstützer der Hexenprozesse war hielt Papst Pius XI. nicht davon ab, ihn 1925 heilig zu sprechen. Sein Name: Petrus Canisius.

Das Wort ‚Canisianum‘ hatte für mich während meiner Innsbrucker Studienzeit einen ziemlich runden, ja einen geradezu melodiösen Klang. Obwohl ich nicht genau wusste, was es wirklich bedeutete. Für mich war es vor allem eine höchst exklusive Bar, die sich im Jesuitenkolleg befand. Die wiederum durfte man nur auf Einladung besuchen. Man traf sich dort gern auf gute Gespräche, bisweilen auch heftige Diskussionen. Die 68-er Studentengeneration hatte gerade die völlige Lufthoheit inne. Und man gönnte sich in der Bar den einen oder anderen ‚Coreth‘. Der eine, das war ein alkoholisches Mischgetränk, komponiert von einem damals berühmten Innsbrucker Jesuiten. Der andere, das war der berühmte katholische Theologe Univ. Pof. Emerich Coreth höchstselbst den man mit ein wenig Glück ebenfalls in der Bar antreffen konnte. Aus was sich der  trinkbare Coreth zusammensetzte? Naja, es war ein etwas gewöhnungsbedürftiges Gemisch aus Gin, weißem Martini und einer Olive. Aber hochinteressant im Abgang.

CORETH UND KRIPP ALS GALIONSFIGUREN DER INNSBRUCKER JESUITEN

Neben dem renommierten Jesuiten und Langzeitdekan der theologischen Fakultät der Uni Innsbruck Emerich Coreth war damals der Name Siegmund Kripp in aller Munde. Der hatte das legendäre Kennedy-Zentrum aufgebaut und daraus ein Jugendzentrum geformt, das in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren in Innsbruck für urbane Jugendlichkeit und Modernität stand. Es war die Zeit nach dem II. Vatikanischen Konzil, der sandinistischen Revolution in Nicaragua, des Rock’n’Roll, der langen Haare, der freien Liebe und vor allem auch der rauchbaren Gräser.

Und da war natürlich auch noch mein Freund und WG-Kollege Norbert K. Pleifer, der oft in jesuitischen Kreisen verkehrte und mich bisweilen mitgenommen hatte. Wie anders hätte ich es geschafft, in diese damals schon einigermaßen erlauchten Hallen vorzudringen? 1976 begann Norbert dann bekanntlich, seine grandiose Idee eines ‚Kommunikationszentrums‘ in Form des ‚KOMM’ unter der Neuen Mensa in der Hirnstraße umzusetzen. Eine Idee, die Innsbruck, eigentlich Tirol, bis heute in Form des genialen ‘ ‘Treibhaus’ nachhaltig prägt. Das – was Wunder – just vis a vis des Jesuitenkollegs als Turm in die Höhe ragt. Nicht zuletzt deshalb betrachtete ich das damalige Innsbrucker ‘Canis’  als einen Hort neuer Ideen, quasi als einen gesellschaftlichen Maschinenraum.

DIE JESUITEN ALS GEISTLICHES SONDER-EINSATZKOMMANDO DES PAPSTES

Weshalb ich nun plötzlich auf katholisch mache? Weil ich ein Buch in die Hand bekommen habe das kürzlich im Tyrolia-Verlag erschienen ist: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten’. Normalerweise lese ich die Klappentexte solcher religiös orientierter Bücher, schau mir die erste Buchseite an um es mit größter Wahrscheinlichkeit wegzulegen. Dieses Buch habe ich nahezu in einem Aufwaschen durchgelesen.

Es ist eine locker, leicht, flüssig und vor allem spannend geschriebene Biographie des Petrus Canisius geworden, die der Assistent am ‘Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie’ der Uni Innsbruck, Univ.Ass. Mathias Moosbrugger vorlegt. Der äußere Anlass ist der Geburtstag dieser katholischen Schlüsselfigur des 16. Jahrhunderts, der sich heuer zum 500. Mal jährt. Mein erstes ‚Aha-Erlebnis‘ beim Aufschlagen des Buches: Ich wusste nun endlich, wofür der Name ‚Canisianum‘ steht. Das war schon was, aber beileibe nicht alles.

Viele von uns wissen so wie ich herzlich wenig über die Jesuiten, die hinter ihren Namen lediglich die beiden Buchstaben S.J. setzen. Sie sind ja völlig unauffällig unterwegs. Die Haare quasi offen tragend sind sie von allem Anbeginn an eine Art geistliche ‘Eingreiftruppe‘ des Papstes. Sie wurden und werden bisweilen auch ‚Soldaten Christi’ genannt. Heute noch trifft man sie an sozialen Brennpunkten, nicht wenige Jesuiten stehen der Befreiungstheologie sehr nahe.  Meist kann man nicht sofort erkennen, dass es sich dabei um eine außergewöhnliche Art von Mönchen handelt, die da mitten im Leben stehen. Das hat triftige Gründe. Und genau die gehen auf Petrus Canisius zurück.

DIE LEUTE WIEDER ‚KATHOLISCH MACHEN‘

Der Orden der ‚Gesellschaft Jesu’ wurde kurz nach der Reformation gegründet, um die Lutherischen wieder ‚katholisch’ zu machen und die Gegenreformation einzuleiten. Die Rückholung der verirrten, evangelischen Schäfchen in das Schoß der Kirche war nicht nur das Ziel Roms, sondern auch jenes von Kaisern und Königen. Während die einen um Macht und Ruhm bangten sorgten sich die anderen um Pfründe und das luxuriöse Pfaffenleben auf Kosten der armen, eingeschüchterten und genau deshalb gläubigen  Bevölkerung. Drehten sich die die Predigten doch immer um die ewige Verdammnis für jene, die nicht im katholischen Sinn gläubig waren. 

Um die Gegenreformation samt Erneuerung der katholischen Kirche ohne größeres Aufsehen zu bewerkstelligen, wollte man die zu Luther neigenden Menschen nicht auch noch durch irgendwelche Kutten und Haartrachten abstoßen. Waren doch Purpurträger, Fürsterzbischöfe, Pfaffen und Mönche unfassbar korrupt, brutal und unverschämt, die zudem noch in einem heute kaum mehr vorstellbaren Luxus schwelgten. Dass damals nicht nur das Volk sondern selbst Adelige, Fürsten und Herzöge davon angewidert waren und mit der Reformation liebäugelten verwundert wenig.

DIE REFORMATION GING AN DIE SUBSTANZ DER KATHOLISCHEN KIRCHE

Kaiser und Kirche waren sich einig darin, eine Rückholaktion zu starten. Drohte doch die Einkommensgrundlage der Kirche aus Ablasshandel und Spenden wegzubrechen und die Pfründe auszutrocknen. Genau bei dieser Rückholaktion spielte im damaligen deutschsprachigen Raum ein gebürtiger Niederländer namens Peter Kanis eine entscheidende Rolle. Der wollte ursprünglich in den härtesten katholischen Orden eintreten, in jenen der Kartäuser. Im letzten Moment verzichtete er aber darauf, als er von der Gründung des Jesuitenordens erfuhr. Diesem von Ignatius von Loyola gegründeten Orden schloss er sich als achtes Mitglied an. Und sollte in der Mitte des 16. Jahrhunderts gleich zum berühmtesten Jesuiten aller Zeiten werden.

Kanis, der sich später Canisius nannte, war schon in seiner frühesten Jugend ein religiöser Enthusiast. Der Sohn des damaligen Bürgermeisters im holländischen Nimwegen trat am 8. Mai 1543 mit 22 Jahren in die ‚Societas Jesu’ ein. Nicht zuletzt deshalb, weil der Orden nicht allein die religiöse Innerlichkeit als Ziel vorgab. Das Engagement für die Anderen war für die ‘Gesellschaft Jesu’ von Anbeginn an ungleich wichtiger. Genau das war das Lebensziel des Petrus Canisius, das er im ganzen Orden institutionalisierte.

MESSINA WAR DER AUFTAKT ZU DEN JESUITENKOLLEGIEN

Als er den Auftrag bekam, 1548 in der sizilianischen Stadt Messina als Lehrer zu wirken, fand er seine eigentliche Berufung. Petrus Canisius sah in der Bildung zeitlebens die vornehmste und wichtigste Aufgabe der Kirche. Der Erfolg seiner Tätigkeit in Sizilien – die Studenten in den neu gegründeten Kollegien mussten kein Schulgeld bezahlen – verbreitete sich wie ein Lauffeuer in ganz Europa. Von nun an wurden in ganz Europa Jesuitenkollegien gegründet. Die Gründung des Innsbrucker Kollegs 1562 führte in der Folge sogar zur Gründung der Innsbrucker Universität.

Eine Eigenschaft der Jesuiten, vor allem aber Petrus Canisius’, steht stellvertretend für diesen Orden: der bedingungslose Gehorsam gegenüber dem Ordensoberen und dem Papst. Damals galt die Übung von Gehorsam als eine asketische Übung, um eigene Schwächen abzutöten. Das wiederum legte meines Erachtens jene Wurzeln, die im 20. Jahrhundert für Tod und Verderben sorgen würden. Bedingungsloser Gehorsam, in Jesuiten-Schulen unterrichtet, hatte Generationen von Schülern verinnerlicht und sie zu folgsamen Exekutoren politischer und religiöser Befehle bis herauf ins 20. Jahrhundert gemacht.

Kirchengeschichtliche Bedeutung erlangte Canisius als Verfasser eines katholischen Lehrbuches. Um der zunehmenden Beliebtheit reformatorischer Heilsverkündigung etwas Konkretes entgegensetzen gab Ferdinand I. 1555 bei Canisius ein gymnasiales Lehrbuch in Auftrag. Vom Ergebnis war der Habsburger dann so angetan, dass er den Befehl gab, dieser Katechismus solle „in allen lateinischen und deutschen Schulen öffentlich vorgetragen werden, und man soll keinen anderen Katechismus lehren, bei strengster Strafe“. Daraufhin wurde der  Katechismus zum erfolgreichsten Religionsbuch aller Zeiten. Bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden sagenhafte 1179 Auflagen gedruckt.

CANISIUS ALS HASSPREDIGER

Es ist indes nicht alles katholisches Gold was an der Person des Petrus Canisius glänzt. Der Autor Mathias Moosbrugger geht auch ausführlich auf die Schattenseiten Canisius’ ein, nämlich auf dessen verbale Unterstützung der Hexenverbrennungen. In einem Brief an seinen Ordensgeneral sprach er es unverblümt aus: „Unglaublich ist die Gottlosigkeit, Unkeuschheit, Grausamkeit, welche die Obrigkeit aus ihren Geständnissen in den Gefängnissen zu veröffentlichen wagt.“ Obwohl viele seiner Ordensbrüder größte Zweifel an den mit grausamster Folter erzwungenen ‘Geständnissen’ und den darauf folgenden Massenmorden hatten blieb Canisius dabei. „Der gerechte Gott lässt das zu wegen der schweren Vergehen des Volkes, welche man durch keine Buße sühnt.“ Quasi: Der Mensch denkt, Gott lenkt.

Obwohl eigentlich ‚nur‘ ein Theoretiker der Hexenverbrennungen, wirkten sich seine Hasspredigten und -schriften der 1560er-Jahre fatal aus. Sie werden als eine der Ursachen für einen erneuten Ausbruch des Hexenwahns in Mitteleuropa bezeichnet. Dass Canisius 1864 selig und 1925 von Paps Puis XI. heiliggesprochen wurd, stößt deshalb heute noch bei Laien und vielen christlichen Theologen auf kopfschüttelndes Unverständnis.

CANISIUS DER UNBEUGSAME

Seinen aufrechten Gang, seine Ehrlichkeit und Offenheit gegenüber Amtsträgern, Kaisern und Königen behielt er indes auch im hohen Alter bei. Seine offene Kritik an den Mächtigen der damaligen Tage machte nicht einmal vor den Fuggern halt. In der Diskussion darum, ob Katholiken Zinsen nehmen durften nahm er gegenüber der Bankiersfamilie eine eindeutige Haltung ein: er lehnte Zins völlig ab. So ist es nicht verwunderlich, dass er seinen Lebensabend in Freiburg in der Schweiz verbringen musste. Weit weg von den adeligen Fürsterzbischöfen und den Fuggerischen Süddeutschlands.

MEINE BUCHKRITIK

Das im Tyrolia-Verlag erschienene Werk gewährt nicht nur einen tiefen Einblick in die Ära nach der Reformation. Das Buch schildert auch die geistige Verfasstheit in der Auseinandersetzung zwischen katholischer Kirche und der Bewegung Martin Luthers und anderer Reformatoren. Hoch interessant ist die Schilderung des inneren Zustands der katholischen Kirche, die hin- und hergerissen war zwischen Reformern und Beharrern. Moosbrugger gelingt es ganz vor allem, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten und nicht in Details abzuschweifen. Wenngleich er die Quellen seiner Forschungen akribisch zitiert.

Mit sicherer Hand und einfacher, gut verständlicher Sprache führt er seine Leser durch eine der entscheidenden Situationen der europäischen Geschichte nach der Reformation. Zeigt die Probleme, mit der der kirchliche Erneuerer Petrus Canisius konfrontiert war. Wie er nicht davor zurückschreckte, Papst und Kaiser zu widersprechen und gegen Fürsterzbischöfe und die Familie Fugger zu wettern. Was nicht darüber hinwegtäuscht, dass er einen unverzeihlichen Fehler beging, als er die Hexenprozesse verteidigte und diese unmenschlichste aller mittelalterlichen Vernichtungsaktionen noch durch seine Predigten anheizte.

Ich kann diese Biografie allen Geschichtsinteressierten empfehlen, ob sie nun katholisch sind oder nicht. Das Buch ist der Versuch, den aufrechten Gang gegen die Mächtigen und die Leistungen des Petrus Canisius in Sachen Bildung hervorzuheben. Ohne den Versuch zu unternehmen, diese unbestreitbaren Leistungen mit seinen unfassbaren Fehlern in der finstersten Zeit der Hexenverbrennungen aufzuwiegen. 

Mathias Moosbrugger: Petrus Canisius. Wanderer zwischen den Welten

288 Seiten, 2021 Tyrolia, 44 farb. und 10 sw Abb., 225 mm x 150 mm

ISBN 978-3-7022-3929-9

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