marienbergalm

Ich kann’s ja zugeben: Vom Marienbergjoch hoch über dem Mieminger Plateau hatte ich in all den Jahren, in denen ich in Tirol lebe, noch nie gehört. Schon gar nicht, dass dieser Alpenübergang mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits in prähistorischer Zeit benützt worden war und im Mittelalter auch gekrönte Häupter gesehen hatte.

Es waren Recherchen zur Burg Klamm, zwischen Mötz und Obsteig gelegen, die mir diese neuen Erkenntnisse vermittelten. Eine Wanderung zur Marienbergalm mit anschließendem Aufstieg zum gleichnamigen Joch war deshalb für mich unumgänglich. Zumal das Tal auch Schauplatz einer mythischen Sage ist. Hier wachten einst die drei legendären „Saligen Fräulein“ über Berge und Tiere. Sie wurden im gesamten Alpenraum verehrt und sind nichts anderes als die drei weiblichen Göttinnen, denen die Räter, eine Art Urbevölkerung des Alpenraumes, huldigten. Dazu habe ich bereits einen Text verfasst.

Der direkte Weg vom Außerfern an den Inn

In der Schrift von Hubert Stecher, Ortschronist von Obsteig, „Die Burg Klamm in Obsteig“ erwähnt dieser einen ganz besonderen Grund, weshalb diese Burg auf einem Felssporn hoch über dem Inntal steht: „Es führte schon in vorgeschichtlicher Zeit ein Saumweg von Mötz über Obsteig in das Außerfern“, ist da zu lesen. „Eine Route, die aber nicht über Nassereith und den Fernpass geführt hat, sondern direkt über das Marienbergjoch in das Ehrwalder Becken.“ Umgekehrt erzählen ältere Menschen davon, dass Außerferner, die früher nach Innsbruck mussten, über das Marienbergjoch zum Bahnhof nach Mötz gewandert waren. Ich machte mich also auf den Weg zum ‚Arzkasten‘, den der Ortschronist als Ausgangspunkt dieser Alpenüberquerung nennt.

Erzsucher erschlossen das Tal

Die Bezeichnung ‚Arzkasten‘ – also Erzkiste – kommt nicht von ungefähr. Nach dem Aufstieg über die Forststraße, die links des Roßbachs auf die Marienbergalm führt, und nach dem Verlassen des dichten Mischwaldes sind sie zu sehen: die mittelalterlichen ‚Knappenlöcher‘, die die schroffen Kalkfelsen der Berge der Mieminger Kette wie einen Schweizer Käse aussehen lassen. Hier schürften mit Sicherheit mittelalterliche Knappen vor allem nach Metallen wie Kupfer. Es gibt indes auch Hinweise, dass es hier schon in prähistorischer Zeit allerlei Erzsucher gegeben haben musste.

Nach rund eineinhalb Stunden erreichen hurtige Wandersleute die Marienbergalm, auf der im Sommer bis zu 200 Stück Galt- und Jungvieh der Barwieser Bauern weiden. Die auf 1.623 Metern Seehöhe gelegene Almhütte wird ganzjährig, also auch im Winter bewirtschaftet. Was mich schon wieder überrascht hatte. Aber klar: Das Außerferner Skigebiet um Biberwier ‚schwappt‘ hier quasi über das Marienbergjoch bis zur Marienbergalm herüber. Die wird im Winter somit von einem guten alten Schlepplift quasi vom Außerfern her ‚erschlossen‘.

Marienbergalm: Duftend-deftiges aus der Almküche

Caroline und Christian Soraperra sorgen hier seit sieben Jahren für das leibliche Wohl ihrer Gäste. War es ein Zeichen des Himmels, dass Christian bei meiner Ankunft eben seinen allseits gelobten Apfelstrudel vorbereitete, wissend, dass das mein Lieblingskuchen ist? Die Karte bietet natürlich auch herzhaft Deftiges, angefangen von Suppen über allerlei Knödel bis hin zu Würsten, Nudeln und Kasspatzln. Die Preise? Für diese Höhenlage moderat. Dass die Marienbergalm 23 Schlafplätze, verteilt auf vier Zimmer, zur Verfügung hat, macht sie übrigens zu einer perfekten Mischung aus Alpenvereinshütte und Alm. 

Aufstieg zum Joch

Christian, der Almhüttenwirt, hatte mich auf zwei ‚Höhlen‘ vorbereitet, die am Weg zum Joch zu sehen sind. Der Platz heiße ‚Bettlerumkehr‘. Tatsächlich dürfte es sich hier um zwei ‚Knappenlöcher‘ handeln, die einst von Erzsuchern angeschlagen worden waren.

Wer nun annimmt, dass hier mittelalterlichen Bettlern Einhalt geboten wurde, täuscht sich mit großer Wahrscheinlichkeit. Schon eher hat es mit den ‚Beten‘ zu tun, also mit den drei ‚Saligen Fräulein‘. Deren Namen enden im ganzen Alpenraum mit -bet. In Tirol weit verbreitet sind Anbet, Wilbet und Borbet. In Namen wie ‚Bettlerküche‘, ‚Bettlerspitze‘ oder ‚Bettlerbichl‘ dürfte dieses ‚bet‘ zu ‚Bettler‘ verformt worden sein. 

Und tatsächlich, die im Bereich des Marienbergjochs verortete ‚Marabarg-Sage‘ schildert die Liebe einer der ‚Saligen Fräulein‘ zu einem jungen Jäger. Sie, in ein gleißend-weißes Gewand gehüllt, verlangte von ihrem jungen Geliebten nur eins: Er müsse ihr versprechen, ihren richtigen Namen niemandem zu sagen und auch nicht, woher sie komme. Das Unheil nahm seinen Lauf, als junge Burschen des Ortes wissen wollten, was denn ihr Kollege in den Bergen trieb. Sie häuften Reisig an und setzen eine Puppe auf den Haufen und zündeten ihn an. Georg, der Jäger, glaubte, die Puppe sei seine geliebte Mara, und rief laut ihren Namen, woraufhin er über einen Felsvorsprung stürzte und zerschmettert in der Tiefe liegen blieb. Mara und ihre ‚Saligen‘ weinten so bitterlich, dass ein See entstand, der heute noch am Fuß der Handschuhspitzen besteht. In christlicher Zeit wurde dann aus dem Marabarg der Marienberg und aus der ‚Beter-Umkehr‘ die Bettlerumkehr. Die Website der Marienbergalm schildert diese Sage ausführlich.

Vom Marienbergjoch aus, auf 1.789 Metern Seehöhe, liegt den Wandersleuten dann das Außerfern quasi zu Füßen. Der Blick geht bis Lermoos, links und rechts des Jochs türmen sich gewaltige Kalktürme mit eher gewöhnungsbedürftigen Namen auf: Wamperter Schrofen, Schartenkopf oder Handschuhspitzen.

Abstieg über den Alpsteig

Den Abstieg absolvierte ich über den Alpsteig, der östlich des Roßbachs verläuft. Hier ist eine gewisse Trittsicherheit vonnöten, denn es sind mehrere Bachrinnen zu überwinden, die jedoch mit Halteseilen versehen sind.

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