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27. Dezember 2020
Originalsprache des Artikels: Deutsch

Was hat es auf sich mit rätselhaften Zeichen in der Totenkapelle zu Igls und der Pfarrkirche St. Sigmund im Sellrain? Seit ich die mysteriösen Zeichen erstmals im Sellrain gesehen hatte, ließ mir das Thema keine Ruhe mehr. Um ehrlich zu sein: Ich bin kein Kryptologe und daher auch nicht imstande, das Rätsel zu lösen. Und dennoch möchte ich liebend gerne wissen, was denn da geschrieben steht. Meine Überlegung: Vielleicht finden sich unter meiner Leserschaft Menschen, die das mittelalterliche Enigma lösen können?

Geheimschriften waren in Tirol vor allem um 1500 en vogue. Es war auch eine Zeit, als Kaiser Maximilian darauf erpicht war, Nachrichten und Botschaften zu verschlüsseln. Es stand ja einiges auf dem Spiel. Just aus dieser Zeit stammen die zwei rätselhaften Botschaften an den Kirchenwänden in Igls und St. Sigmund im Sellrain.

DAS RÄTSEL AM GOLDENEN DACHL IST INZWISCHEN GELÖST

Die seit 500 Jahren in der Innsbrucker Altstadt weithin sichtbare Geheimschrift blieb bis 2020 geheimnisvoll und rätselhaft: die hebräisch anmutenden Zeichen am Goldenen Dachl. Erhard Maroschek gelang es schließlich, das Geheimnis um die Schrift  zu enträtseln. Ich berichtete in diesem Blog erstmals über diese bahnbrechende Decodierung.

Nun stehen weitere Rätsel an, gelöst zu werden. Mysteriöse schwarze Schriftzeichen tauchen an zwei unterschiedlichen Orten auf: in der Totenkapelle zu Igls und in der Kirche St. Sigmund im Sellrain. Ich denke mir, die Entschlüsselung der Inschriften könnte zu einem spannenden Zeitvertreib während des Lockdowns werden.

MYSTERIÖSE ZEICHEN TAUCHTEN ERSTMALS IN IGLS AUF

Die mysteriösen Schriftzeichen kamen in Igls zum Vorschein, als die Kapelle 1970 renoviert worden war. Das Kreuzigungsfresko an der Stirnwand der Kapelle aus dem Jahre 1486 regte damals dazu an, die Wände auf weitere Fresken zu untersuchen. Zur Überraschung der Restauratoren kamen an der Westseite schwarze Schriftzeichen zum Vorschein, die teils mit schwarzen Linien abgegrenzt sind. Zahlreiche kleine Kreuze sind in die Textur eingestreut. Die einen größer, die anderen kleiner. Die Enden der Balken sind keilförmig verdickt, bei einem der Kreuze sind die Querbalken wieder als Kreuze ausgebildet.

STECKT KAISER MAXIMILIAN HINTER DEM RÄTSEL?

Die schwarzen, mysteriösen Zeichen bestehen aus Buchstaben in der Größe von 8 bis 12 cm. Demnach müssten die Schriftzeichen bereits vor dem gotischen Fresko angebracht worden sein. Das würde exakt jenen Zeitraum umfassen, in dem es von Geheimschriften nur so wimmelte. Zudem war der damals herrschende Kaiser Maximilian I. offenbar ein großer Freund verschlüsselter Texte und Botschaften. Ließ er doch selbst an seinem monumentalen architektonischen Hauptwerk, dem Goldenen Dachl, eine Schriftrolle mit einem geheimen Inhalt anbringen. Wie gesagt, erst mehr als fünfhundert Jahre später gelang es, den Inhalt zu entschlüsseln.

Dass in der Kirche St. Sigmund nahezu gleichartige rätselhafte Zeichen an der Kirchenwand auftauchen, ist für mich wenig verwunderlich. Lag doch die Kirche just am Weg in Maximilians Jagdrevier in Kühtai, das er über alles liebte. War er vielleicht Auftraggeber der geheimen Zeichen? Waren es Sprüche, die das Seelenheil des Kaisers sicherstellen sollten?

ERSTE DEUTUNGSVERSUCHE

Bei oberflächlicher Betrachtung erinnern sie an kyrillische oder koptische Schriftzeichen. „Ein näheres Studium zeigt, dass die Ähnlichkeit mit solchen Schriften nur oberflächlich ist und dass es sich um eine deutsche Geheimschrift handelt“, urteilte 1972 die legendäre einstige Landeskonservatorin Dr. Johanna Gritsch. Sie enthüllte schließlich in einer Festschrift für Karl Schadelbauer erste Decodierungsversuche. Sie ergeben zwar kaum Sinn, der Versuch war es indes wert.

Das System der Igler Inschrift, so Gritsch, „verwendet neben regulären Buchstaben wie M, N, T, I, H, Z, eine Reihe anderer Zeichen.“ Eine Kombination, die sie als OFN interpretierte, kommt mehrmals vor. Vielleicht Zeichen einer Gebetsformel?

Gritsch glaubte auch, den Urheber der Inschriften namentlich dingfest gemacht zu haben. Er hieß offenbar Hans Posch. Der Name steht, so Gritsch, an der Nordwand und taucht unterhalb der zwei kleinen Kreuze in diesem Text auf:

OFN                  OFN

SCHRIFT         SCHRIFT

GMAACH        GMACHT

T INGOT          IN GOT

POCZ HANS   POSCH HANS

OFN NHR       OFN NHR

Die Zeichen an der Gewölbefläche in der Nordwestecke, interpretierte sie ebenfalls:

OH                      OH

RAIN KINT      REINES KIND

GAB GNET      GEB GNAD

IST TAS EIN   IST DAS EIN

PANT TRAI     BAND TREU

ES HER…        ES HER…T

T NET              NET….N

GE                     GE

Was grundsätzlich feststehen dürfte, formulierte Gritsch so: „Die Derbheit der Schriftzeichen, die Tatsache, dass einzelne Buchstaben seitenverkehrt verwendet sind, das Fehlen von weichem B und D lässt daran denken, dass es sich bei dem Schreiber um einen Mann handelt, der ohne gründliche Bildung Talent und gewisse Kenntnisse besaß und darauf sehr stolz war.“ Was die einstige Landeskonservatorin vergaß anzufügen: … und Hans Posch hieß.

Er hat sich nicht nur als Schreiber verewigt. Die Verwendung einer Geheimschrift, die für die Bevölkerung unlesbar war, wirkte auf die Menschen des ausgehenden Mittelalters unglaublich geheimnisvoll und bedeutsam. Und für das romantische Denken der Zeit um 1500 waren solche geheimnisumwitterten Schriften charakteristisch.

HATTE HANS POSCH AUCH IN ST. SIGMUND SEINE HAND IM FARBTOPF?

Die interessante Frage in diesem Zusammenhang: Ist dieser ‚Hans Posch‘ auch in St. Sigmund tätig gewesen? Der Zeitpunkt um 1500 würde passen. Die heutige Kirche mit gotischem Hochaltar im Westen und Eingang im Osten stammt aus der Zeit um 1490. Sie löste eine kleine Vorgängerkirche ab, die heute in die Nordseite des Hauptschiffs einbezogen ist. Deren gotische Fresken im übrigen sehr sehenswert sind.

Bei meinen Recherchen in St. Sigmund hatte ich Glück, nach dem Besuch der Frühmesse konnte ich Pfarrer Leopold Baumberger zur Schrift befragen. Er ist der Ansicht, dass es sich dabei eher um Schrift- und Malversuche von Bauhandwerkern handle. Quasi Kritzeleien als Probelauf für weitere Bemalungen. Ein Geheimnis verberge sich für ihn nicht hinter den Zeichen, meint der Priester der Prämonstratenser-Chorherren des Stiftes Wilten, der die Pfarrgemeinden des Sellrain betreut. Gemalter Quatsch also? Das kann nicht ausgeschlossen werden.

Eine Zeichnung lässt tatsächlich darauf schließen, dass da kundige Hände die Wände ‚beschmiert‘ hatten. Die Darstellung zweier Spitzbogenfenster und den dazugehörigen Rosetten lässt den Verdacht aufkommen, dass hier ein Kenner des gotischen Stils gezeichnet hatte. Die restlichen noch sichtbaren Zeichen begründen allerdings den Verdacht, hier sei derselbe Schriftenmaler zur Tat geschritten, der schon die Totenkapelle in Igls mit seinen geheimen Botschaften beglückt hatte.

Für alle Kryptologen habe ich eigens eine Zusammenstellung der Geheimtexte angefertigt, die herunter geladen werden kann. Inklusive einer ersten, allerdings unvollständigen Aufzählung der von Dr. Gritsch ‘übersetzten’ Zeichen. Vielleicht gibt’s Kryptologen-Talente in meiner Leserschaft. Wäre schön.

Wer Anregungen, Ideen und Fragen hat: bitte in der Kommentarspalte unten.

LINKS UND TIPPS

Die Kirche in St. Sigmund ist tagsüber verschlossen. Mit Fug und Recht, wird sogar die Spendenkasse öfters ‘ausgenommen’. Die Vorgängerkirche mit ihren alten und teils schönen gotischen Fresken kann somit nur während einer Messe besucht werden.

Abhandlung der ehemaligen Landeskonservatorin Dr. Johanna Gritsch 

Darstellung aller Schriftzeichen Igls und Sigmund, ©Kräutler

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