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Die Tiroler Volksschauspiele in Telfs sind eine jährliche Instanz der Theaterszene im Alpenland. Das heurige Programm bezieht sich auf die tiefsten Wurzeln der Volksschauspiele und ist dennoch aktueller denn je. Wie gewohnt, dreht sich alles um Volkstheater, die Zusammenarbeit von Profis und Laien sowie um besondere Theaterorte.

Wie alles begann …

Die Tiroler Volksschauspiele wurden 1981 von Kurt Weinzierl, Dietmar Schönherr, Otto Grünmandl und Josef Kuderna gegründet. Sie verfolgten das Ziel, dem Volkstheater neue Impulse zu geben und dabei möglichst hohe Qualität zu bieten.
Meine Generation kennt Namen wie diese gerade noch: Ruth Drexel, Hans Brenner, Julia Gschnitzer, Kurt Weinzierl, Dietmar Schönherr, Felix Mitterer und andere mehr. All diese Namen sind untrennbar mit den Volksschauspielen verbunden (und nur einige davon auch mit der berühmten Piefke-Saga).

1981 wurde noch an der Spielstätte Hall eröffnet: Die ersten Tiroler Volksschauspiele zeigten „Die sieben Todsünden“ von Franz Kranewitter. Dafür wurden die Einakter von sieben Regisseuren inszeniert.

Ein Skandal führte nach Telfs

Im darauffolgenden Jahr verweigerte die Stadt Hall die Uraufführung von „Stigma“. Das Gegenwartsstück von Felix Mitterer wurde aufgrund von Blasphemievorwürfen abgelehnt. So zogen die Schauspiele nach Telfs – um dort zu bleiben.
In den folgenden Jahren kämpften die Spiele immer wieder ums finanzielle Überleben, bis schließlich Gemeinde, Land und Bund die Finanzierung dauerhaft sicherstellten.

Bemerkenswertes Theater mit Auftrag

Die eifrigen Theaterpersönlichkeiten der Volksschauspiele versammelten fortan jährlich Größen der deutschsprachigen Theater- und Regieszene in Telfs. Hans Brenner (Obmann 1985–1998) und Ruth Drexel (Obfrau 1998–2009) prägten die Tiroler Volksschauspiele besonders. Drexels künstlerisches Ziel war dabei, Volkstheater als Instrument zur kritischen Auseinandersetzung mit der gelebten Realität zu etablieren – klug, scharf und unterhaltsam, aber unabhängig vom Bildungshintergrund verständlich. Was für ein wunderbares Ziel und großartiger Auftrag!

Markus Völlenklee leitete die Volksschauspiele bis 2019, dann folgten Christoph Nix und Gregor Bloéb (2022) als künstlerische Leiter. Seit 2019 sind die Tiroler Volksschauspiele eine GmbH im Besitz der Marktgemeinde Telfs, Geschäftsführerin ist Verena Covi.
In einem Podcast verrät Verena Covi, dass sie die Tiroler Volksschauspiele im deutschsprachigen Raum noch bekannter machen möchte. Sie wünsche sich, dass die Volksschauspiele in einem Atemzug mit den großen Sommerbühnen in Salzburg und Bregenz genannt würden. Und eben Telfs. Ein ehrgeiziges Ziel, doch vielleicht liegt es in greifbarer Nähe …

Besondere Theaterorte

Auch 2023 wird an einem neuen Ort gespielt: am Birkenberg. Doch die Inszenierung von Theaterstücken an ungewöhnlichen Plätzen hat in Telfs eine lange Tradition. „Stigma“ wurde 1982 in den Ruinen des alten Rathaussaals gezeigt, weitere Spielstätten waren unter anderem eine desolate Fabrikhalle, der Gipfel der Hohen Munde, eine Waldlichtung, das Becken des Hallenbades, die Abbruchhäuser der Südtiroler-Siedlung oder der Kranewitterstadl.

BIRKENBERG

Für das diesjährige Programm wird nun der Birkenberg als Theaterkulisse adaptiert. Die Tribüne wird nicht nur Platz für rund 500 Personen, sondern auch ein traumhaftes Panorama übers Inntal und die Berge bieten. Der Vorplatz der Mariahilfkapelle wird indessen vom Architekturkollektiv columbosnext zu einem Foyer umgestaltet. Zudem wird in der Kapelle eine Ausstellung mit Zeichnungen von Arik Brauer zu sehen sein.

Stücke und Stückln

Die im Laufe der Jahre gespielten Stücke beweisen jedenfalls die enorme Vielseitigkeit des Volkstheaters. Dazu zählten und zählen viele Uraufführungen.

KLASSIKER

Neben den Klassikern des Tiroler Volkstheaters von Kranewitter oder Schönherr durften auch Goethe, Schiller, Shakespeare und andere nicht fehlen. Hier eine Auswahl der Klassiker bei den Tiroler Volksschauspielen:

  • Franz Kranewitter: Die sieben Todsünden, Andrä Hofer, Um Haus und Hof, Die Teufelsbraut
  • Karl Schönherr: Der Weibsteufel, Frau Suitner, Erde, Maitanz, Der Judas von Tirol, Allerhand Kreuzköpf
  • Jean-Paul Sartre: Geschlossene Gesellschaft
  • Johann Wolfgang von Goethe: Urfaust
  • Friedrich Schiller: Die Räuber
  • William Shakespeare: Hamlet, Wie es Euch gefällt
  • Georg Büchner: Woyzeck
  • Bert Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti
  • Johann Nestroy: Einen Jux will er sich machen, Der böse Geist Lumpazivagabundus
  • Ferdinand Raimund: Der Alpenkönig und der Menschenfeind

ZEITGENÖSSISCHES

Zusätzlich zur Neuinterpretation von Klassikern verfolgten die Tiroler Volksschauspiele von Beginn an den Vorsatz, auch Gegenwartsstücke von jungen Autorinnen und Autoren auf die Bühne zu bringen. Felix Mitterer war kontinuierlich dabei, viele seiner Stücke wurden in Telfs uraufgeführt. Zur Auswahl der Gegenwartsstücke zählen zum Beispiel:

  • Felix Mitterer: Stigma, Sibirien, Munde, Kein Platz für Idioten, Mein Ungeheuer, Gaismair, Die Beichte, 1809 – Mein bestes Jahr, Verkaufte Heimat
  • Lothar Greger: Fleisch und Blut
  • Luis Zagler: Vogelfrei
  • Lida Winiewicz: Späte Gegend
  • Franz Xaver Kroetz: Nicht Fisch nicht Fleisch
  • Georg Ringsgwandl: Der Hund, der Hund

Die vollständige chronologische Auflistung des Programms der Tiroler Volksschauspiele findet sich hier.

Das Programm 2023

Die Tiroler Volksschauspiele 2023 finden vom 16. Juli bis 19. August in Telfs statt. Zum Programm gehören nicht nur einzigartige Theaterleckerbissen, sondern auch ein großes Eröffnungs- sowie Abschlussfest.

7 Todsünden

Sieben neue Stücke in einem – das Hauptstück am Birkenberg

Vor 42 Jahren wurden die Tiroler Volksschauspiele mit „Die sieben Todsünden“ von Franz Kranewitter begründet. Diese Todsünden werden heuer neu interpretiert und nochmals auf die Bühne gebracht. Dafür wurden Autorinnen und Autoren verschiedener Generationen und Genres eingeladen, die Texte über diese Sünden für unsere Zeit neu zu verfassen. So entstehen sieben spannende Kurzstücke. Der künstlerische Leiter Gregor Bloéb kündigt ein sinnliches, gedankenscharfes, rasend komisches Open-Air-Spektakel mit Live-Musik und opulenten Bildern an.

Sowohl die Namen der Autorinnen und Autoren als auch des Ensembles sind hochkarätig: Die Nestroy-Preisträgerin Lisa Wentz nimmt sich den Zorn vor, Helena Adler schreibt über die Trägheit, während sich Calle Fuhr vom Volkstheater Wien mit dem Hochmut beschäftigt. Der Geiz wird für Felix Mitterer zum Thema, inzwischen gibt sich der renommierte Drehbuchautor Uli Brée der Völlerei hin. Die Choreografin Marie Stockhausen bearbeitet den Neid, sie wird selbst auch mittanzen. Eine Kurzgeschichte von David Schalko wird außerdem als Stück über die Wollust adaptiert. Prolog und Epilog stammen schließlich aus den Federn von Filmemacher Hubert Sauper und Johannes Schmidl.
Zum Spitzenensemble, das seinesgleichen sucht (O-Ton Gregor Bloéb) gehören Gerti Drassl, Olivia Grigolli, Lisa Hörtnagl, Marlene Markt, Iris Schmid, Bernhard Bettermann, Klaus Rohrmoser, Gerald Votava, Heinz Weixelbraun und andere mehr. Gregor Bloéb führt selbst Regie, und Florian Hirsch kümmert sich um die Dramaturgie. Das Bühnenbild stammt von Volker Hintermeier und die Musik von Matthias Jakisic.

Für mich klingt das nach einem wahren Theaterhighlight in diesem Sommer! Die Premiere der „7 Todsünden“ am 20. Juli 2023, zugleich auch Uraufführung, war übrigens schnell ausverkauft. Tickets sollten sich Theaterfans also am besten sofort sichern.

Ein Narrentanz

Sieben Kardinaltugenden – neun Tiroler Volksbühnen – ein Spektakel im Rathaussaal

In Zusammenarbeit mit dem Tiroler Theaterverband und mit neun Volksbühnen aus dem ganzen Land entsteht außerdem ein eigens verfasstes „Gegenstück“ zu den „7 Todsünden“. Anfänglich waren die sieben Kardinaltugenden der historische Gegenentwurf zu den Todsünden, und sie sollten als Verhaltensgebote gelten. Glaube, Liebe, Hoffnung, Besonnenheit, Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit werden zwar gepredigt, doch oft wird genau das Gegenteil gelebt. Der „Narrentanz“ zeigt einerseits Alltagssituationen aus dem Jahr 1500 und andererseits das schleichende Machtspiel der Tugenden.

Thomas Gassner vom Theaterverband Tirol, bekannt durch verschiedenste Produktionen, am meisten aber wahrscheinlich als ein Drittel vom Feinripp-Ensemble, tanzt diesen Narrentanz der besonderen Art mit neun Volksbühnen aus Tirol. Zu dieser bunten Truppe gehören Theater Humiste (Imst), die theatermåcher (Fügen/Fügenberg), diebühne (Kirchberg), Theater ohne Pölz (Schwaz), Tupilak Figurentheater, Theaterauflauf Osttirol, Innsbrucker Ritterspiele, Volksbühne Fritzens und s’theata Niederndorf.

Die Volksschauspiele werden so ihrem legendären Ruf als Wiege des Volkstheaters in Tirol mehr als gerecht. Immerhin werden rund 50 Schauspielerinnen und Schauspieler von Volksbühnen aus dem ganzen Land für dieses Stück auf der Bühne stehen. Die einzelnen Theatervereine proben bereits fleißig, jeweils in enger Abstimmung mit Thomas Gassner. Bald werden in gemeinsamen Proben aller Mitwirkenden die Sequenzen zum „Narrentanz“ zusammengefügt und schließlich dem Publikum präsentiert.

Allein die Logistik für ein Projekt dieser Dimension ist beeindruckend. Auch in diesem Fall bin ich extrem gespannt auf das Ergebnis ... Ebenso wie bei den „Todsünden“ gilt: Tickets sollte man sich rechtzeitig besorgen.

Also, die Vorfreude auf den Theatersommer ist zumindest bei mir riesengroß.

Weitere Programmhighlights

Rund um die Bühnenstücke der Tiroler Volksschauspiele passiert so einiges: Es findet beispielsweise eine „Lieblingslieder“-Talkshow von Marc Hess und Frajo Köhle statt. Zu dieser „Schpeschl Edischn“ dürfen prominente Gäste wie Sybille Brunner, Leopold Baumberger und Toni Innauer begrüßt werden.
Ein besonderer Programmpunkt ist darüber hinaus die Marathonlesung aus Elfriede Jelineks Privatroman „Neid“. Dafür werden Krista Posch, Carmen Gratl, Ute Heidorn, Lisa Hörtnagl, Brigitte Jaufenthaler, Marlene Markt, Lisa Schrammel, Janine Wegener, Tobias Moretti, Bernhard Bettermann, Nik Neureiter, Johann Nikolussi, Klaus Rohrmoser und Harald Windisch unglaubliche sieben Stunden lang aus dem Werk der Literaturnobelpreisträgerin lesen.
Des Weiteren wird es eine Podiumsdiskussion zum Thema „Der Kunst ihre Freiheit?“ geben. Und schließlich zeigen die Jungen Tiroler Volksschauspiele mit „#be_together“ sieben Visionen für eine bessere Zukunft.

Das vollständige Programm der Tiroler Volksschauspiele gibt es online.

Tatsächlich liegt mein letzter Besuch bei den Volksschauspielen in Telfs schon viel zu lange zurück. Es wird allerhöchste Zeit! Ich freue mich auf das Leben auf der Bühne mit Tugenden, Sünden und allem, was dazugehört. Kommt mit!

Abschließend bedanke ich mich bei den Tiroler Volksschauspielen und Christine Frei für die freundliche Zusammenarbeit.

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